Alternativen

Ankündigung:
Projektstudium „Uni in gesellschaftlicher Verantwortung“ I: Offensive Alternativen in der Pädagogik – Mit dem Stadtteil in die Genossenschaft
(Start: Sommersemester 2023)

„Geschlossene Unterbringung ist von gestern – demokratische Wohngruppen, verlässliche Orte im Stadtteil und Kinderrepubliken jetzt!“ Mit diesen Forderungen endet das Theaterstück „Heimrevolte“ des letzten dreisemestrigen Projektstudiums.

Abschlussszene des Theaterstücks „Heimrevolte“ (24.01.2023) (Foto: Florian Muhl)

Mit dem im Sommersemester 2023 beginnenden Projektstudium wollen wir hier anknüpfen und der Frage nachgehen, wie offensive und auf erweiterte Handlungsfähigkeit (Holzkamp) gerichtete pädagogische Alternativen zu einer restriktiven und repressiven, auf Anpassung gerichteten pädagogischen Praxis in der Vergangenheit umgesetzt wurden und, vor allem, heute konkret umgesetzt werden können.

In einem Theorie- und Praxisprojekt wollen wir uns die Frage stellen, wie der Maßstab in der Pädagogik aller Schwerpunkte handlungsleitend wird, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene sich zu gesellschaftlich handlungsfähigen Persönlichkeiten entwickeln können, die der aktuellen gesellschaftlichen Lage nicht ohnmächtig gegenüberstehen. Das Gemeinwesen und dessen vielfältige Möglichkeiten für eine gleichberechtigte Teilhabe aller Beteiligten bilden hierfür einen zentralen Bezugspunkt: „… [D]as Lokale [ist] ein ausgezeichneter Ort, um Infrastruktur für alle zugänglich her- und zur Verfügung zu stellen. Sozialarbeiterische Gemeinwesenarbeit weiß darüber ziemlich viel […]. […] Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass es keine wirksamere Form von Sozialpolitik als die von unten gibt.“ (AG links-netz 2005, S. 39f.)

Blick in die Geschichte

Jane Addams spricht mit Besuchern des Hull House (1935, Wikipedia, National Archives, (CC0 1.0))

Historische Erfahrungen, von denen wir uns anregen lassen wollen, sind das Hull House in Chicago (Settlementbewegung), die Praxis des Community Organizing (Saul Alinsky) und die Kinderfreundebewegung mit ihren Kinderrepubliken sowie die Genossenschaftsbewegung. Zudem wollen wir den Blick in die jüngere Geschichte der 1970er und 80er Jahre in Hamburg richten und die – vielfach von Studierenden initiierten – sozialpädagogischen Aktivitäten fokussieren, die in teilweise noch heute bestehenden demokratischen Praxisprojekten mündeten, bspw. dem Stadtteilprojekt Sonnenland in Billstedt und der GWA St. Pauli. Ausgangspunkt war das Sozialpädagogische Zusatzstudium (SPZ), das es seit den 1960er Jahren gab, und das in Hamburg der Ausgangspunkt für viele kritische Praxisprojekte war.

Kinderrepublik Seekamp 1927. Foto: Schilksee-Archiv Pieper-Wöhlk

Diese unterschiedlichen Projekte verbindet, dass sie Gesellschaft verändern woll(t)en, sich für eine demokratische und zivile gesellschaftliche Entwicklung eingesetzt haben und eine im wahrsten Sinne des Wortes „revolutionäre Praxis“ entwickelten.

Unsere Frage ist, wie eine solche Praxis umgesetzt werden konnte und heute (wieder) kann. Welche Konflikte müssen geführt werden, um die geschlossene Unterbringung und verhaltensdressierende Maßnahmen in der Jugendhilfe zu überwinden? Welche Ansatzpunkte gibt es, um die mit der Ökonomisierung einhergehende Fall-Orientierung sowie die Dominanz klinischer Behandlungskonzepte von Kindern, Jugendlichen und Familien und die vielfach damit zusammenhängende Gewinnorientierung von Trägern zu überwinden und stattdessen sozialräumliche Bildungs- und Unterstützungsarbeit auszubauen?

Das Praxisprojekt: Die Stadtteilgenossenschaft Horn…

… ist ein aktuelles Beispiel innovativer pädagogischer Praxis, das in diesem Sinne tätig ist und mit dem wir uns auseinandersetzen wollen. Die dort Tätigen versuchen, Settings zu schaffen, „in denen gelingende Kooperation von der gleichberechtigten Teilhabe und Teilnahme aller Beteiligten abhängt und in denen diese Bewältigung die Lebenssituation aller verbessert, insbesondere dadurch, dass die sozialräumlichen Relationen gestärkt und erweitert, bzw. neue aufgenommen werden können.“ (Kunstreich 2023, S. 22) Damit geht es um die demokratische Realisierung von Jugend- und Erwachsenenwohl und damit der gemeinsamen Interessen.

Gründungsversammlung der Stadtteilgenossenschaft Hamburg-Horn am 01.06.2022 (Foto: Marianne Dotzek)

Im Praxisschwerpunkt unseres Projektstudiums wollen wir den Aufbau der Stadtteilgenossenschaft mit Projekten vor Ort unterstützen.
Wie das genau aussehen kann, werden wir mit den Aktiven vor Ort und den Bewohner:innen des Stadtteils gemeinsam beraten und entwickeln. So ist neben der theoretischen Auseinandersetzung im ersten Semester eine „Zukunftswerkstatt“ im Haus der Jugend Horn mit Übernachtung geplant. Dabei werden wir den Stadtteil bzw. seine vier Sozialräume sowie die bisherigen Praxisstränge der Stadtteilgenossenschaft Horn kennenlernen:
1. den Stadtteilservice „Horner TUN (Teilhabe, Unterstützung, Netzwerkarbeit)“
2. Alternativen in der sozialräumlichen Praxis (a) unnötige auswärtige Unterbringung von Kindern und Jugendlichen aus Horn überwinden, b) Konflikte im Stadtteil produktiv bearbeiten, c) kommunale Bildungsprozesse sowie d) die Selbstorganisation von Kindern und Jugendlichen stärken).

Wir freuen uns über eure Teilnahme und auf drei Semester intensive Auseinandersetzung.

Bei Rückfragen, meldet Euch gerne: Sinah.Mielich[at]uni-hamburg.de

Die Anmeldung zu der Veranstaltung ist in der STiNE-Anmeldephase vom 20.02.23 (09:00 Uhr) bis 09.03.23 (13:00 Uhr) möglich. Eine Anmeldung zu Restplätzen ist auch noch in der Nachmeldephase (20.03.23 (09:00 Uhr) bis 23.03.23 (13:00 Uhr)) möglich.

Für nähere Informationen zum Fachüberschreitenden Bereich (FüB) siehe https://www.ew.uni-hamburg.de/studium/studiengaenge-ew/stud-eub-ba/fueb-wp.html

Literatur:

  • Addams, Jane: The Settlement as a factor in the Labor Movement. In Hull-House Maps and Papers. A Presentation of Nationalities and wages in a congested district of Chicago, together with comments and essays on problems growing out of the social conditions (183-204), New York & Boston 1895
  • AG links-netz: Gibt es eine Alternative zum neoliberalen Sozialstaatsabbau? Umrisse eines Konzepts von Sozialpolitik als Infrastruktur, in: Widersprüche, Heft 97, 2005, S. 33-49, https://www.widersprueche-zeitschrift.de/m/IMG/pdf/widersprueche_97.pdf
  • Braches-Chyrek, Rita: Jane Addams, Mary Richmond und Alice Salomon – Professionalisierung und Disziplinbildung Sozialer Arbeit, Opladen, Berlin & Toronto 2013
  • Falck, Hans S.: Membership. Eine Theorie der Sozialen Arbeit, Stuttgart 1997
  • Kinderfreundebewegung, Homepage „Demokratie erleben“: https://demokratie-erleben.arbeiterjugend.de
  • Kunstreich, Timm: Sozialgenossenschaft als progressive Organisationsform in der Sozialen Arbeit?!, 2023, bisher unveröffentlichtes Manuskript
  • Kunstreich, Timm/ Falck, Hans S.: Nicht Wohltätigkeit, sondern Gerechtigkeit. Die Membership-Perspektive in der Sozialen Arbeit, Weinheim/Basel 2022
  • Löwenstein, Kurt: Sozialismus und Erziehung. Eine Auswahl aus den Schriften 1919 – 1933, hrsg. von Brandecker, Ferdinand und Feidel-Mertz, Hildegard, Berlin, Bonn-Bad Godesberg 1976
  • May, Michael: Gemeinwesenarbeit, in: W. F. Haug (Hrsg.): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus (201-210), Hamburg 2001
  • Penta, Leo (Hrsg.): Community organizing. Menschen verändern ihre Stadt, Hamburg 2007
  • Richter, Helmut: Kommunalpädagogik, Hamburg 2001
  • Stadtteilgenossenschaft Horn, Homepage: www.stadtteilgenossenschaft-horn.de